David Powell
Für Malevič besteht also ein direkter Zusammenhang zwischen Gegenständlichkeit, Abbildlichkeit, Scheinhaftigkeit und Bilderkult in der Kunst – und einem falschen Bewußtsein, ja einer gefährlichen Verfallenheit des Menschen an die Gegenstandswelt, an Besitz- und Machtgier, die letzlich allesamt in einem totalitären Führerkult, Verknechtung und Krieg münden. / [...] Der Grund für die katastrophale Machtgier der »Führer« und für die nur zu Große Bereitschaft der Massen, sich einer solchen Herrschaft lustvoll zu ergeben, wurzelt für die russische Avantgarde, und eben beispielhaft in der Macht- und Kriegskritik Chlebnikovs wie Malevičs, in einer defekten Wahrnehmungs- und Denkhaltung, die in letzter Konsequenz zu einer tödlichen Ideologie bzw. einer Ideologie des Todes degeneriert. Das »missing link« zwischen falscher Wahrnehmung und falschem Denken ist die sich in den Diktaturen des 20. Jahrhundreds vollziehende Idolatrie: die Fixierung auf Bilder, auf Ideen und Losungen, auf eine »Welt der Doubles« und der gefräßigen »Idole«. [...] Spätestens mit dem Leninkult, der ja schon vor 1924 einsetzte, sieht Malevič als einer der ersten einen regelrechten Führerkult im Entstehen; wortlich spricht er vom »Führer-Zauberer«, nach dem die Leute rufen." [...] »Die Führer gaben sich für einen guten Gott aus und mißbrauchten eben dazu die Künstler, damit sie zur Unterhaltung des Volkes tanzten [...]. Und wehe jene Kunst, die nicht bereit sein wird, das Anlitz ihres Führers in ihren Spiegel aufzunehmen. Dieser Führer fürchtet am allermeisten, daß er ihn nicht widerspiegelt.« (K.M. »Iskusstvo« [»Kunst«], 1924). [...] »Der Mensch kann ohne Flinte – ebensowenig wie ohne Gott – keinen Schritt tun.« (K.M. »Der Mensch ist das gefährlichste Wesen in der Natur«, 1924) [...] Nach Malevič verfügt die Kunst über gar Nichts (Praktisches, Nützliches, Erstrebenswertes): »Es gibt in ihr keine Gebete, keine Reue, keine Sündhaftigkeit [...] und ihre Gestaltung ruft keinen Schweiß hervor und keine Schwielen.« (K.M. »Iskusstvo« [»Kunst«], 1924) Nur eines hat die Kunst, was weder Religion noch wirtschaftliche oder politische Lehren ihr eigen nennen: ihre Freiheit, ihr Nichts, ihr Nein gegenüber einer Welt, in der alle Menschen EINEM Glauben, EINEM System unterstehen sollen. Die Kunst verfolgt keine Andersdenkenden, sie hat keine Gefängnisse und Machtmittel.« – Aage A. Hansen-Löve: »Kazimir Malevič – Gott ist nicht gestürzt! – Schriften zu Kunst, Kirche, Fabrik«; München: Hanser Verlag, 2004; S. 444-447; 450. / Hansen-Löves Buch enthält neben zehn Texten von Malewitsch mehr als 345 Seiten mit ausführlichen Kommentaren zu Malewitschs philosophischen Texten und Gedanken. Bilder von David Powell finden Sie unter https://insignificantattempt.blogspot.com/2018/04/100-paintings-mixed-materials-with.html